BVL MAGAZIN
Berit Boerke [CEO] im Gespräch mit dem BVL MAGAZIN zu den Themen »Modal Shift, Infrastrukturmanagement und Wünsche an Europa«
Die Nachfrage nach Schienengüterlogistik besteht – davon überzeugte sich Prof. Thomas Wimmer in Köln-Eifeltor. Berit Börke, Vorstand Vertrieb bei der TX Logistik AG, zeigte dem Vorsitzenden der BVL-Gesch.ftsführung eine der wichtigsten Großumschlaganlagen des kombinierten Verkehrs (KV) in Europa.
Zur Zukunft des KV sprachen beide über Chancen für den Modal Shift, Infrastrukturmanagement und Wünsche an Europa.
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Prof. Thomas Wimmer: Vielen Dank für deine Einladung zum Spaziergang über den Umschlag- und Rangierbahnhof in Köln-Eifeltor, Berit. An den Gleisen und Wagen habe ich viel Mechanik gesehen, viel passiert von Hand. Alle reden von Digitalisierung – ist die Bahn da auf dem richtigen Weg?
Berit Boerke: Dein Eindruck ist richtig, Waggons werden in der Regel noch mit der Hand gekoppelt. Andere Branchen sind da weiter. In Sachen Asset Intelligence ist in den letzten Jahren jedoch viel passiert. Das gilt für moderne Wagen ebenso wie für Multisystemlokomotiven, die wir zum Beispiel auf der Nord-Süd-Achse einsetzen. Sie verfügen über Sensortechnik und übertragen Daten wie Temperatur, Druck, Geschwindigkeit und Bremsverhalten, sodass wir proaktiver arbeiten können. Viele Akteure sind heute über EDI-Schnittstellen oder Web-Services vernetzt. In anderen Bereichen sind wir von Digitalisierung aber noch weit entfernt.
TW: Hast du ein Beispiel?
BB: Ein Beispiel ist die Trassenplanung, die in Deutschland quasi noch maßgeschneidert erfolgt, von Hand gemacht. Dies dauert oft lange und hemmt uns bei der Entwicklung von Betriebskonzepten und neuen Angeboten. Um Kapazitäten besser ausschöpfen zu können, bedarf es auch eines Schubs bei der Digitalisierung der Infrastruktur. Wir könnten die Dichte des Netzes viel stärker erhöhen, wenn wir in Deutschland schon das Zugsicherungssystem ETCS – das European Train Control System – und digitale Stellwerke hätten. Also: Der eingeschlagene Weg ist richtig, aber Beschleunigung ist notwendig.
»Wir müssen Voraussetzungen für echte Interoperabilität schaffen«
BB
»Wir müssen Voraussetzungen für echte Interoperabilität schaffen« BB
TW: Mir ist aufgefallen, dass Spontaneität bei der Bahn nicht gut funktioniert. Eine Lok kann man zum Beispiel für Fotoaufnahmen nicht mal eben schnell woandershin fahren – wie wir es heute angedacht hatten.
BB: Ja, die Lok hätte natürlich erst aufgerüstet werden müssen. Du bekommst heute einen kleinen Einblick und siehst, dass Schienenlogistik ein hochkomplexes System ist. Das unterschätzen viele und denken, einen Zug von A nach B zu fahren, kann doch nicht so schwer sein. Wir fahren unsere Güterzüge in länderübergreifenden Verkehrskorridoren, zum Beispiel von Skandinavien bis Italien. Das bedeutet länderspezifische Zulassungen, unterschiedliche nationale Regelwerke und Sicherheitssysteme – und das ohne einen einheitlichen Sprachstandard wie in der Luft- oder Schifffahrt. Lokführer müssen nicht nur die jeweiligen Streckenkenntnisse immer wieder nachweisen, sie müssen auch die Landessprachen beherrschen.
TW: Wir reden alle über Umweltschutz, Verlagerung von Güterströmen, überlastete Straßen. Aber die letzte Meile werdet ihr mit der Bahn naturgemäß nie hinkriegen. Wo siehst du die Entwicklungspotenziale?
BB: Wir haben viele zufriedene Kunden und spüren täglich die Nachfrage nach zusätzlichen Leistungen. Der von allen so gewünschte Modal Shift ist aber eben kein Selbstläufer. Wachstumsimpulse erfordern zügigen und verbindlichen Infrastukturausbau, der viel stärker als bisher auch die Resilienz des Schienennetzes berücksichtigen muss. Das erfordert eine Gesamtstrategie und Planung, die auch vermeintlich kleinere Maßnahmen mit großer Wirkung beinhalten muss. Damit meine ich zum Beispiel die Ertüchtigung von Ausweichstrecken, Lückenschlüsse in Bezug auf Elektrifizierungen, also Lösungen für Umleitungsverkehre, ohne die es in Zeiten verstärkter Bautätigkeit oder in Störfällen nicht geht. Richtig viel Potenzial liegt darüber hinaus in einem Netz, das Personen- und Schienengüterverkehr gleichzeitig abdeckt, darin, die Fahrplangestaltung zu optimieren.
»Der von allen so gewünschte Modal Shift ist aber eben kein Selbstläufer.«
BB
»Der von allen so gewünschte Modal Shift ist aber eben kein Selbstläufer.« BB
TW: Wie lässt sich das durchsetzen? Statt Missstände zu kritisieren, wäre es vielleicht einfacher zu sagen, wo man konkret gemeinsam weiterkommen kann.
BB: Wir wollen und können mehr Verkehre auf die Schiene bringen. Deshalb müssen wir Dreierlei tun: Dinge deutlich beim Namen nennen, Veränderungen einfordern und natürlich selbst Entwicklungen vorantreiben. Wir investieren in Produktentwicklung, in neue Produktionskonzepte und in IT zur Automatisierung von Kernprozessen. Wir kombinieren unterschiedliche Ladungsströme, indem wir Adapter wie Nikrasa und Roadraillink für den Umschlag nutzen und so Bahnverladungen flexibler machen. Anfang des Jahres haben wir in Kufstein unser Hub-Konzept eingeführt, das mit fast schon industriellen Produktionsabläufen die Effizienz und Pünktlichkeit im KV steigert. Alle Prozesse sind auf den jeweiligen Streckenkorridor ausgerichtet, der jetzt wie ein Conveyor Belt funktioniert.
TW: Mit maximaler Zuglänge?
BB: Nein, hier fahren wir mit 600 Meter in Doppeltraktion, haben also zwei Loks im Einsatz. Die im Hub ankommenden Züge werden nach dem Fifo-Prinzip – First in, first out –über den Brenner nach Verona geschickt. Das funktioniert, weil wir auf allen Relationen, die wir in unserem Netzwerk nach Verona bedienen, die Wagensets harmonisiert haben und mit gleichen Loktypen arbeiten. Darüber schaffen wir Stabilität im System, können Verspätungen auffangen und ausgleichen. Wir kritisieren also nicht nur, wir bringen uns aktiv ein und geben nicht auf, die Themenvielfalt der Bahn so zu übersetzen, dass Handlungsbedarfe verstanden werden. Zur Bahnbranche gehören viele Player in Europa, auch Mittelständler wie wir. Wir wollen uns Gehör verschaffen und fühlen uns manchmal ein bisschen wie Missionare.
TW: Müsst ihr euch für diese Überzeugungsarbeit erst zusammentun? Wenn man mehrere Kleine hat, kann man den Großen ja das Wasser reichen. Das sehen wir am Beispiel Europa mit über 500 Millionen Einwohnern und einer Wirtschaftskraft, mit der wir gegenüber China oder Indien ganz anders in Wettbewerb treten können.
BB: Es gibt verschiedene nationale und internationale Verbände, die sich für die richtigen Rahmenbedingungen einsetzen. Wenn ich die Debatten verfolge, bin ich aber mit Blick auf andere Branchen überzeugt, dass die Kollegen noch stärker den Schulterschluss finden müssen, um mehr Kraft zu entfalten. Unter den Eisenbahnverkehrsunternehmen und -operateuren wird – anders als vor einigen Jahren – heute aber viel mehr kooperiert. Auslastungsrisiken zwingen uns dazu, aber auch die Erkenntnis, dass wir so zu besseren, stabileren Angeboten kommen. Wir haben heute Partner, mit denen wir einerseits im Wettbewerb stehen und gleichzeitig zusammenarbeiten.
„Wir haben heute Partner, mit denen wir
einerseits im Wettbewerb stehen und
gleichzeitig zusammenarbeiten.“
TW: Und dein dritter Wunsch?
BB: Mehr verbindliche Aktionen statt nur gut klingender verbale Bekenntnisse.
TW: Kommen wir zu einem menschlichen Thema – die Bahnbranche ist männerdominiert. Was macht ihr, um Berufe in eurem Bereich für Frauen attraktiv zu machen?
BB: Wir versuchen, Menschen für Logistik zu begeistern, und zeigen, welche Berufe und welche spannenden Aufgaben damit verbunden sind. Logistik, Bahn, Schiene – das ist für viele sehr abstrakt. Verständlich, ich überzeuge auch niemanden mit Tonnenkilometern oder Zugnummern. Ich muss erklären: Wenn du bei uns arbeitest, dann bist du Teil der weltweiten Ersatzteillogistik eines Automobilherstellers. Oder: Wir sorgen mit anderen Partnern dafür, dass die Tanks am Airport befüllt sind und die Flugzeuge starten. So, wie wir es jetzt mit der branchenweiten Initiative „Die Wirtschaftsmacher“ tun. Wir gestalten gemeinsam Lieferketten. Wir arbeiten daran, dass wir intern unsere Kommunikation verbessern. Dafür haben wir unsere Kampagne „Railfanatics“ gestartet: Kolleginnen und Kollegen aus ganz unterschiedlichen Bereichen erklären, was sie machen, und sagen, warum sie für das brennen, was sie tun. Das wirkt sehr ansteckend. Und so gewinnen wir auch Frauen für unsere Branche.
TW: Es gibt ja tolle Beispiele wie Lokführerinnen oder Ingenieurinnen, die beispielsweise Stellwerke modernisieren.
BB: Ja, und toughe Customer-Service-Mitarbeiterinnen, Disponentinnen, Ressourcen-Planerinnen. Die Frage ist aber,
TW: Wie kann ich junge, talentierte Kolleginnen perspektivisch stärker in Führungsrollen bringen? Wir müssen sie ermutigen, Chancen zu ergreifen, auch auf die Gefahr hin, dass es mal schiefgeht. Dafür müssen wir Flexibilität und Toleranz mitbringen. Familie, Reisetätigkeit, permanenter Erfolgsdruck – das erfordert eben nicht nur Organisationstalent, sondern auch jede Menge Belastbarkeit und Selbstmotivation. Flexible Arbeitszeiten helfen, ebenso weitreichende Homeoffice-Regelungen und vor allem Vertrauen ineinander. Ich bin zuversichtlich, dass uns das zunehmend gelingen wird, und werde mich dafür weiter einsetzen.
TW: Vielen Dank, Berit, für die spannenden Einblicke in die KV-Welt auf unserem Spaziergang. Ich wünsche dir und deinem Team viel Erfolg auf Europas Schienen!